März 2019

#beyondBGM: Psyche und Organisation

Alexandra Gerstner

Lästige Pflicht oder Chance?

Aus der Perspektive des Arbeitsschutzes ist die Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung eine Anforderung, die Arbeitsbedingungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich weiß, der Begriff ist gruselig – meine Wortschöpfung ist das nicht. Und man braucht schon eine ausgeprägte Vorstellungskraft, um eine Brücke von „Gefährdung…“ hin zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen zu bauen.

Genau darum geht es nämlich: Gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden Lösungen entwickelt, um gute Arbeit möglich zu machen. Im staubigen Kontext der gesetzlichen Anforderungen wird das Potenzial dieses beteiligungsorientierten Vorgehens oft überdeckt. Der Impuls, schnell die lästige Pflicht zu erfüllen ist nachvollziehbar.

Wenn es allerdings gelingt, sich vom Aspekt der Pflichterfüllung zu lösen, wenn vielmehr die aktuellen Herausforderungen der Organisation im Mittelpunkt stehen, dann bildet die Gefährdungsbeurteilung einen nützlichen Rahmen, um Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen systematisch herbeizuführen.

Manchmal erlebe ich auch, dass Organisationen bereits regelmäßige Reflexionsschleifen etabliert haben, innerhalb derer auch Aspekte der psychischen Belastung thematisiert und bearbeitet werden. Dann stellt sich lediglich die Frage der nachvollziehbaren Dokumentation, um die arbeitsschutzrechtliche Anforderung zu erfüllen. Es wäre kontraproduktiv, losgelöst davon noch einen Prozess für die Gefährdungsbeurteilung aufzusetzen.

Die Chance liegt aus meiner Sicht darin, die Ressourcen der Organisation sinnvoll einzusetzen und Selbstwirksamkeit zu stärken. Mir ist es wichtig, den Prozess so zu gestalten, dass die Teams aktiv sind, gestalten und Verantwortung übernehmen können. Durch die Schaffung eines Reflexionsrahmens können Führungskräfte ihre Rolle sowie ihr Führungshandelns beleuchten und weiter entwickeln. Gemeinsam erarbeiten wir, wie diese den Prozess konstruktiv unterstützen und die Umsetzung der Lösungsideen voran bringen können. Durch regelmäßige Gespräche mit der Geschäftsführung wird eine Kopplung an die Strategie der Organisation erreicht.

Wirksamkeit erzielen

In der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung werden die Arbeitsorganisation und die Zusammenarbeit sowie Arbeitsinhalte und Arbeitsumgebung analysiert. In den Projekten, die ich begleite, kristallisieren sich häufig zwei relevante Handlungsfelder heraus. Das größte Verbesserungspotenzial liegt in Aspekten der Arbeitsorganisation und der Führung.

Um wirksame Interventionen ableiten zu können, nutze ich meinen systemtheoretischen Blick auf Gesundheit. Gesundheit verstehe ich nicht alleine als persönliches, individuelles Thema. Vielmehr liegt mein Fokus darauf, wie Gesundheit in den Kontext der Organisation eingebettet ist. Mich interessiert, welche Auswirkungen die Strukturen und Spielregeln in der Organisation auf Gesundheit und Wertschöpfung haben. Und weiter: Welche Muster und Kommunikationsformen beobachtbar sind. Es liegt auf der Hand, dass isolierte Einzelmaßnahmen nicht die Lösung sind.

Alles neu?

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, ob Sie mit der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung Ihre gesamte Organisation umkrempeln? Wenn ich versucht bin, darauf mit „es kommt darauf an“ zu reagieren, klingt das zunächst einmal nach einer stereotyen Antwort einer Psychologin. Und dennoch meine ich es genau so. Im Einzelfall ist nämlich zu bewerten, wie dringend und auf welchen Ebenen Veränderungen anzustoßen sind. Und ganz klar, für umfassende Interventionen braucht es den Auftrag und die Unterstützung durch die Geschäftsführung. Ansonsten reibt sich die interne Steuerungsgruppe auf und es bewegt sich nichts.

Ein Ziel der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung – neben der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen – ist es, Arbeitsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Wenn Veränderungen auf der Ebene von Strukturen und Prozessen angestoßen, Rollen geklärt und neue Muster gebildet werden, führt das dazu, dass wieder echte Arbeit möglich wird. Und dies ermöglicht wiederum, dass Mitarbeitende Sinn in der Arbeit sehen und erleben können. „Die beste Motivationsquelle überhaupt.“, wie Professor Theo Wehner es unlängst in einem Interview mit der ZEIT zusammenfasste.

Schreiben Sie mir gern von Ihren Erfahrungen: kontakt.mail@alexandragerstner.de

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