Juni 2016

Psyche aus der Tabuecke holen

Alexandra Gerstner

„Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung“ – was meint das? Gern erläutere ich diesen Begriff, der da so sperrig daher kommt. Die Gefährdungsbeurteilung ist das zentrale Element im betrieblichen Arbeitsschutz. Sie gibt eine klare Struktur vor, um Gefährdungen im Betrieb systematisch zu ermitteln und zu beurteilen. Eine Aufgabe, zu der übrigens alle Arbeitgeber verpflichtet sind, unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten. Die Gefährdungsbeurteilung ist Grundlage für ein erfolgreiches Gesundheitsmanagement.

Im Sommer 2013 wurde das Arbeitsschutzgesetz explizit um die Aspekte der psychischen Gefährdung ergänzt. Viele Unternehmer setzen sich nun erstmals mit dem taubbesetzten Thema „Psyche im Unternehmen“ auseinander.

Weshalb ist das so wichtig?

Die Anzahl der AU-Tage aufgrund psychischer Erkrankungen hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Stress und Belastungen am Arbeitsplatz tragen mit dazu bei, dass Menschen psychisch erkranken. Fallen Beschäftigte aufgrund einer psychischen Erkrankung aus, ist mit besonders langen Ausfallzeiten zu rechnen. Im Schnitt liegen diese bei rund 40 Tagen. Die betriebswirtschaftlichen Kosten sind entsprechend hoch.

Als Wirtschaftspsychologin liegt mein Fokus darauf, Unternehmen dabei zu unterstützen, die psychische und soziale Gesundheit im Unternehmen zu erhalten und zu fördern. Die Analyseergebnisse der Gefährdungsbeurteilung nutze ich als Ausgangspunkt für die Entwicklung passgenauer Maßnahmen.

Großer Erfahrungsschatz

Sowohl in kleinen als auch größeren Unternehmen des Mittelstands berate ich die verantwortlichen Personen bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. In der Praxis nehme ich nach wie vor eine große Unsicherheit wahr, wie mit den psychischen Aspekten umzugehen ist. Klassische Messverfahren greifen hier nicht.

Gute Erfahrungen mache ich mit moderierten Analyseworkshops. Im Dialog mit den Beschäftigten wird erarbeitet, wodurch diese sich belastet fühlen und welche Lösungsansätze sie sehen, um die Belastungen zu reduzieren. Ich bin immer wieder beeindruckt, welche kreativen und konstruktiven Lösungen die Beschäftigten entwickeln. Als Experten ihrer jeweiligen Arbeitssituation verfügen Sie über eine gute Intuition, welche Veränderungen wirksam sind.

Mein Beratungsansatz zielt darauf ab, gesunde Verhältnisse zu schaffen. Denn nur in gesunden Verhältnissen können sich Beschäftigte auch gesund verhalten.

Ist das auch ein geeignetes Seminarthema?

In der Tat ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen ein komplexes Thema. Dies beginnt schon damit, dass in der arbeitswissenschaftliche Definition „Belastung“ als neutraler Begriff zu verstehen ist. Dies widerspricht dem Alltagsverständnis. Das Seminar gibt Orientierung und trägt wesentlich dazu bei, Begriffe und Zielrichtung zu klären.

Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig deutlich zu machen, dass es nicht darum geht, die betrieblichen Akteure darin fit zu machen, psychische Erkrankungen zu diagnostizieren. Vielmehr werden Wege aufgezeigt, die psychische Gesundheit von Beschäftigten zu stärken.

Typisch für meine Seminare …

… dass Theorie und praktische Erfahrungen Hand in Hand gehen. Durch eine klare Struktur wird die Komplexität reduziert und Beispiele guter Praxis als Ideen und Erweiterungen tragen dazu bei, dass das Thema handhabbar wird. Mir macht es am meisten Spaß, im Dialog mit den Teilnehmenden herauszuarbeiten, welche Strategie und welche Herangehensweise zum jeweiligen Unternehmen passt. Spätestens wenn die ersten Schritte konkret werden, wird die Motivation spürbar. Im Sinne von „Aah, jetzt wird es greifbar, jetzt kann ich etwas tun!“

Und sonst so?

Ich erlebe meine Arbeit als enorm abwechslungsreich. Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit ist die Beratung von Unternehmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) von der Analyse bis zur Entwicklung passgenauer Maßnahmen. Gesundheitsmanagement verstehe ich als strategischen Ansatz. Es geht darum, das Thema Gesundheit auf der Agenda der Unternehmen zu verankern und damit mehr Menschlichkeit in die Arbeitswelt zu bringen. Ein Ansatz der sich für Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen lohnt. Es ist nachgewiesen, dass sich jeder investierte Euro in Maßnahmen des Gesundheitsmanagement mindestens doppelt auszahlt.

Da ich stets individuelle Lösungen entwickle, wird meine Arbeit nie langweilig. Außerdem habe ich Tag für Tag mit unterschiedlichen Menschen zu tun, was ich als sehr bereichernd erlebe.

Fit und leistungsfähig durch den Tag

Mein Alltag als Beraterin und Trainerin ist durch eine hohe Arbeitsintensität und unterwegs sein gekennzeichnet. Insofern sorge ich regelmäßig für einen Ausgleich, um fit zu bleiben. Das kann das verlängerte Wochenende auf Sylt oder die kurze Auszeit im Alltag sein. Kochen und gutes Essen beispielsweise haben für mich ganz viel mit Wohlbefinden zu tun. Je bunter es auf meinem Teller ist, um so besser! Das gemeinsame Zubereiten einer leckeren Mahlzeit ist für mich eine sehr gute Möglichkeit, abzuschalten.

Oft übe ich bereits am frühen Morgen Yoga. Ich lade so meinen Akku auf, starte konzentriert und mit Energie in den Tag. Und ich freue mich, dass es Frühling wird und die Tage wieder heller und freundlicher werden. Da macht mir das Laufen im Stadtpark doppelt so viel Spaß und der innere Schweinehund hat kaum mehr eine Chance.

Das Interview führte Andrea Siebert vom Handeslkammer Bildungs-Service.

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