September 2020

Irgendwas ist immer

Alexandra Gerstner

Corona-Krise, der Geschäftsführer ist erst seit vier Monaten im Amt, die Reorganisation ist gerade abgeschlossen oder die nächste steht bevor… Dieses und Ähnliches wird manchmal als Grund benannt, die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung jetzt nicht durchzuführen. Doch Moment. Wie sieht denn der optimale Zeitpunkt für die Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung aus?
Wenn alle Projekte abgeschlossen sind und gerade keine größeren „Baustellen“ auf organisationaler Ebene beackert werden?

Wenn Sie zurückschauen: Wann gab es zuletzt eine solche Phase? Vielmehr bestimmen doch die zunehmende Komplexität und Volatilität die Anforderungen an die Unternehmensführung. Irgendwas ist also immer.

Abzuwarten bis keine „Störungen“ da sind, dann gibt es vermutlich nie den richtigen Zeitpunkt, das Vorhaben anzugehen. Denn als soziale Systeme sind Organisation stets in Bewegung und dem Rhythmus des Lebendigen ausgesetzt. Kundenbedürfnisse wandeln sich, neue Technologien werden eingeführt oder der Wettbewerber bringt ein neues, äußerst attraktives Produkt auf den Markt und Sie geraten dadurch unter Druck. Dies sind beispielhafte Anlässe, dass die Organisation sich bewegt, um weiter am Markt zu bestehen.

In Bewegung bleiben

Im Modell des Adaptive Circle wird die Abfolge von Streben nach Wachstum, Stabilisierung, Krise und Neuausrichtung bildlich dargestellt. Das Erfordernis der ständigen Anpassung fördert Resilienz. Wenn Organisationen nicht in Bewegung sind, sterben diese zumindest auf langfristige Sicht.

Insofern kann kann genau diese besondere Zeit, die wir gerade alle erleben, ein guter Anlass sein, genauer hinzusehen. Gerade auch vor dem Hintergrund des enormen Anstiegs der psychischen Erkrankungen im ersten Halbjahr. Die KKH beziffert den Anstieg auf 80%. Es steht also außer Frage, dass präventive Ansätze mehr als gefragt sind. Mir geht es dabei nicht um Feelgood- und Achtsamkeitsangebote, sondern um Prävention und Stärkung von Gesundheit auf organsiationaler Ebene. Angebote, die lediglich die individuelle Ebene adressieren, greifen zu kurz.

Wertschöpfung und Gesundheit zusammen denken

Vielmehr ist jetzt ein guter Zeitpunkt, dass Organisationen auch die Gesundheit stärker in den Fokus rücken. Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut sieht Gesundheit und Resilienz als die großen Themen der Zukunft an. Die Herausforderung ist, die scheinbare Paradoxie zwischen Gesundheit und Wirtschaftlichkeit zu integrieren und ein sowohl als auch zu ermöglichen. Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Gesundheit gefördert und Wertschöpfung erzielt wird. Ich begleite Sie auf diesem Weg der Transformation zur gesunden Organisation.

1, 2 oder 3

Eins nehme ich vorweg: Aus meiner Perspektive ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung gerade jetzt besonders relevant. Meine Beobachtungen und Gedanken habe ich in drei Thesen verdichtet.

Arbeitsbedingte Stressoren

These 1: Der Anstieg der psychischen Erkrankungen während der Pandemie wird durch arbeitsbedingte Herausforderungen verstärkt. Die Angst vor Infektion im Kundenkontakt verstärkt das individuelle Stresserleben. Auch veränderte Arbeitsabläufe und neue Anforderungen an die Zusammenarbeit durch Remote-Arbeit gehen mit psychischen Herausforderungen einher. Organisationen, die bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen auch psychische Belastungen berücksichtigen, stärken die Arbeitsfähigkeit von Kolleginnen und Kollegen.

Kein Schutzraum für Neues

These 2: Insbesondere in volatilen Zeiten braucht es gesunde und engagierte Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, sich einzubringen. Die Möglichkeit, miteinander wirksam zu werden und Verantwortung zu übernehmen, wird maßgeblich durch den organisationalen Rahmen bestimmt. Erst wenn die Voraussetzungen gegeben sind, kann Neues ausprobiert werden und Potenziale können sich entfalten.

Der Elefant im Zimmer

These 3: Ständiges Schieben und Warten auf den perfekten Zeitraum sind ein Indiz dafür, dass der Nutzen der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung nicht klar ist. Oder es ist ein Zeichen von Unsicherheit. Es wird befürchtet, dass kritische Themen auf den Tisch kommen, die dann nicht mehr „einzufangen“ sind. Gepaart mit der Hoffnung, dass sich die Probleme vielleicht sogar von selbst erledigen, wird so jegliche Chance für eine Verbesserung der Arbeitssituation vertan.

In diesen Thesen spiegeln sich die komplexen Anforderungen unserer Umwelt wieder. Die Unsicherheit wird durch die Pandemie verstärkt. In der Bewältigung beobachte ich ganz unterschiedliche Tendenzen. Einfache Lösungen, die auf kausalen Ursache-Wirkungsketten aufgebaut sind, greifen in jedem Falle zu kurz. Insofern biete ich Ihnen Denkanstöße, die drei Interventionsebenen im Fokus haben.

# 1: Resilienz und Widerstandskraft auf individueller Ebene stärken

Die zentrale Frage ist: Was gibt Stabilität in Zeiten enormer Unsicherheit und Ungewissheit?
Ein Gefühl das Vertrauens, die aktuelle Situation bewältigen zu können, wird durch das Kohärenzgefühl beschrieben. Dieses beeinflusst, wie gut jemand sogenannte generalisierte Widerstandsressourcen zur Bewältigung von Stressoren nutzen kann.

Diese Ressourcen wirken als innerer Kompass und Erfahrungsfeedback im Sinne von „Ich bin auf dem richtigen Weg.“, „Ich werde es schaffen.“, „Ich werde daran wachsen.“. So wird eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit Stressoren möglich, was wiederum die Bereitschaft für Verhaltensänderungen stärkt. Individuelle Gesundheit wird dadurch aufrecht erhalten und verbessert.

Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit und Handhabbarkeit sind die Komponenten, aus denen sich das Kohärenzerleben zusammensetzt. Es lohnt sich, diese Komponenten sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene zu reflektieren und daraus Implikationen für die Gestaltung einer gesunden Organisation abzuleiten.

Verstehbarkeit

Stellen Sie relevante Informationen zur Verfügung und begründen Sie getroffene Entscheidungen oder Veränderungen.
Bleiben Sie miteinander im Gespräch und geben Sie auch Raum für informellen Austausch (Virtuelle Kaffeeecke).

Handhabbarkeit

Selbstfürsorge ist die Basis von Gesundheit. Gestalten Sie die Arbeit so, dass Anforderungen und Ressourcen zur Bewältigung in Balance bleiben. Schaffen Sie ein Klima, in dem Überlastung offen und ohne Sanktionen angesprochen werden kann. Bieten Sie aktive Unterstützung an oder stellen Sie einen Kontakt zu außerbetrieblichen Beratungsangeboten (Coaching/EAP) her.
Die schlichte Frage „Wie geht es Dir?“ drückt Wertschätzung aus und kann ein Türöffner für die Entwicklung von Lösungen sein.
Reflektieren Sie im Team, welche Krisen Sie bereits erfolgreich gemeistert haben! Wie ist Ihnen das gelungen? Und was davon können Sie auf die aktuelle Situation übertragen?

Sinnhaftigkeit

Beteiligen Sie Kolleginnen und Kollegen an bedeutsamen Entscheidungen.
Geben Sie Freiräume und ermöglichen Sie die Übernahme von Verantwortung.
Reflektieren Sie die aktuelle Situation: 
Was sind positive Anteile der aktuell herausfordernden Situation? Welche positiven Veränderungen nehmen Sie bei sich, innerhalb des Teams und in der Organisation wahr?

Das Kohärenzerleben beeinflusst, wie Kolleginnen und Kollegen mit arbeitsbedingten Stressoren umgehen. Ein hohes Kohärenzerleben geht mit weniger psychosomatischen Symptomen und geringerer emotionaler Erschöpfung einher. Darüber hinaus können arbeitsbedingte Stressoren besser bewältig werden. Insgesamt sind diese Menschen sowohl physisch als auch psychisch gesünder.

Zu verstehen, was die Kolleginnen und Kollegen beschäftigt. Und daraus hilfreiche Ansätze abzuleiten, mit der Arbeitssituation besser umzugehen, das ist ein erster Schritt, um gesunde Arbeitsbedingungen gestalten. Das kann Unterstützung auf individueller Ebene in Form von Resilienztrainings oder Coaching für mehr Stabilität in volatilen Zeiten sein. Und ergänzend auch auf Teamebene zu reflektieren, was es braucht, um gut zusammen arbeiten zu können.

# 2: Zusammenarbeit und Führung wirksam gestalten

Die derzeitige Situation ist ein großes Experimentierfeld. Vieles, was bislang als „nicht machbar“ deklariert wurde, wurde von heute auf morgen umgesetzt. Allem voran das vielzitierte Homeoffice. Kollaboration, Beratungen, Workshops und Kongresse wurden in den virtuellen Raum übersetzt. Immer wieder bin ich selbst überrascht, wieviel auch online möglich ist und wie gut es gelingt, in Kontakt und offenem Austausch zu sein.

Reflexionsräume gestalten

Für eine wirksame Zusammenarbeit lohnt es sich, die aktuellen Erfahrungen zu reflektieren. Diese Reflexionsräume bieten die Chance, genau in den Blick zu nehmen was läuft und an welcher Stelle es hakt. Daraus können Sie Ansatzpunkte für wirksame Veränderungen ableiten.

Regelmäßige Retrospektiven sind ein Format für gemeinsame Reflexion im Team oder Arbeitsbereich. Betrachten Sie dazu eine definierte Zeitspanne und nehmen Sie das „wie“ der Zusammenarbeit in den Fokus.

  • Welche Erfahrungen haben wir in den vergangenen Wochen gemacht: Was ist uns in der Krise verloren gegangen und was hat uns sogar voran gebracht?
  • Wie erklären wir uns das Geschehene? Weshalb hat es sich so entwickelt?
  • Was war hilfreich und was davon wollen wir beibehalten? Was hat zum Erfolg beigetragen?
  • Und was hat nicht geklappt? Welche Vorgehensweisen waren eher hinderlich? Wovon wollen wir uns verabschieden?

Diese Fragen sind geeignet, miteinander in einen offenen Dialog zu kommen, verschiedene Sichtweisen nebeneinander zu legen und diese zu würdigen. Der Dreiklang Beschreiben, Erklären und Bewerten hilft dabei, sich der eigenen Konstruktion von Wirklichkeiten bewusst zu werden.

Im Dialog werden Hypothesen entwickelt, die Grundlage für Veränderungsideen sind. Gemeinsam erkunden Sie, was Sie im Team Neues ausprobieren möchten, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Ideen werden priorisiert und Vereinbarungen für die Umsetzung getroffen. Alle Kolleginnen und Kollegen sind aufgefordert, jeweils eine Aufgabe zu übernehmen. Zum Abschluss halten Sie eine kurze Rückschau auf die Retrospektive.

Gesund führen in volatilen Zeiten

„Gute Führung wirkt – schlechte leider auch“ so bringen die beiden Professoren Nico Rose und Michael F. Steger das Ergebnis ihrer aktuellen Studie auf den Punkt.
Die Wechselmotivation von Kolleginnen und Kollegen korreliert stark mit der wahrgenommenen Führungsqualität. Bei der Entscheidung, das Unternehmen zu verlassen, spielt die Wahrnehmung der Führungskraft eine größere Rolle als die Arbeitsaufgabe oder das Image des Unternehmens. Eine freiwillige Kündigung einer kompetenten Kollegin, eines guten Kollegen kann das Unternehmen ein Vielfaches des zugehörigen Jahresgehalts kosten. Ganz klar, Präventionsmaßnahmen kosten ebenfalls. Sie sind immer eine Investition in die Zukunftsfähigkeit der Organisation. Aber sie kosten eben auch nur einen Bruchteil dessen, was an Schaden entstehen kann. Auch das Engagement und die Bereitschaft, sich im Sinne der Organisation einzubringen, wird durch die erlebte Führungsqualität beeinflusst.

Da Führungsarbeit selbst auch mit besonderen Anforderungen einher geht, ist Selfcare die Basis von gesunder Führung. Gesund führen umfasst weiter das unmittelbare Verhalten im Kontakt. Unterstützung und Wertschätzung sowie die Gestaltung der Arbeitsbedingungen stehen im Zusammenhang mit Mitarbeitergesundheit. Es ist hilfreich, wenn Führungskräfte Warnsignale psychischer Beanspruchung wahrnehmen und geeignete Maßnahmen ergreifen. Um so mehr, da die aktuelle Pandemie sowie zunehmend komplexe Aufgaben, Arbeitsverdichtung, Dauerverfügbarkeit und Leistungsdruck für viele Menschen mit erhöhtem Stresserleben und Gefühlen von Ohnmacht und Überforderung einher gehen.

Mir geht es dabei explizit nicht darum, dass Führungskräfte etwa eine Diagnose stellen. Die Diagnostik ist Aufgabe von Experten. Vielmehr ist das Ziel, in einem persönlichen Gespräch wahrgenommene Veränderungen im Verhalten oder der Arbeitsleistung so früh wie möglich anzusprechen, mögliche arbeitsbedingte Ursachen zu erkennen und Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Ganz konkrete Werkzeuge zur Gesprächsführung finden Sie als Leser*innen dazu in den regelmäßigen Mittwoch-Mittag-Mails meiner geschätzten Kollegin Anne Katrin Matyssek.

Um die Reflexion und Klärung der Führungsrolle geht es auch in meinen Führungswerkstätten. Ganz dicht an Ihren Anliegen und orientiert an Ihren konkreten Praxisfällen entwickeln Sie dort Ansätze, um den Wandel gesund zu gestalten.

# 3: Organisationale Resilienz und Zukunftsfähigkeit stärken

Für umfassende Veränderungen der Organisation hat sich ein iteratives Vorgehen bewährt. In kleinen Schritten entwickelt sich die Organisation kontinuierlich weiter. Statt starrer Change-Konzepte, die über alle Abteilungen ausgerollt werden, werden hypothesengeleitet Veränderungen erprobt. Die Skizze der systemischen Schleife verdeutlicht diese Vorgehensweise:Iterative Organisationsentwicklung

Im Prozess der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung werden relevante Informationen systematisch erhoben. Diese Informationen und Einsichten über die Arbeitsbedingungen, Arbeitsorganisation sowie die Zusammenarbeit sind eine wertvolle Grundlage für die kontinuierliche Organisationsentwicklung. Nutzen Sie dieses Potenzial! Die Informationen aus der Analysephase sind Gold wert.

Es lohnt sich, den Fokus zu erweitern und die Ergebnisse nicht nur im ASA sondern auch mit HR, Verantwortlichen der internen Personal- und Organisationsentwicklung zu besprechen. Eine individuelle Beratung von Geschäftsführung und Führungskräften ist fester Bestandteil meines Beratungsprozesses. Mir ist es wichtig, Sie dabei zu unterstützen, dass die Ergebnisse nachhaltig bearbeitet werden und wirksame Lösungen verankert werden.

Derzeit habe ich die Analyse um coronaspezifische Belastungen erweitert. So erkennen Sie rechtzeitig die besonderen Belastungen, die mit der aktuellen Situation einher gehen. Und das, bevor Überbeanspruchungen oder gar psychische Erkrankungen entstehen. Mit konkreten Empfehlungen für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, der Kommunikation und Zusammenarbeit stärke ich die beteiligten Führungskräfte in ihrer Funktion.

Starten Sie jetzt!

Ich bin davon überzeugt, dass die Corona-Krise auch die Chance birgt, das Arbeitsleben neu zu gestalten und Gesundheit aus einer ganzheitlichen Perspektive heraus in den Fokus zu nehmen. Darüber hinaus ist Prävention derzeit wichtiger denn je. Denn von alleine lösen sich die Belastungen nicht auf. Im Gegenteil, das Aufschieben macht den Berg am Ende noch größer. Der „Elefant im Zimmer“ verschwindet ebenso wenig wie die Belastungen, nur weil nicht darüber gesprochen und daran gearbeitet wird.

Insofern ist jetzt vielleicht auch für Ihre Organisation genau der richtige Zeitpunkt, das Thema endlich anzugehen!

Anregungen und konkrete Werkzeuge für die Gestaltung des Prozesses finden Sie in meinen Werkzeugen #einfach machen und dem begleitenden Programm. Wir arbeiten online und damit völlig orts- und zeitflexibel.

Melden Sie sich hier für das Programm #einfach machen an: kontakt.mail@alexandragerstner.de Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit!

Zurück
Impressum & Datenschutz
Impressum & Datenschutz